Bisher einmalige Straftat in Thüringen: Storchennest störte in Windkraftgebiet – jetzt ist es weg

Artikel aus der Thüringer Allgemeinen vom 13. August 2016

Brutplatz der geschützten Vögel hätte Bau von 212 Meter hohen Windrädern verhindert. Umweltbehörde sieht Zusammenhang. Polizei ermittelt.

Schwarzstorch (Ciconia nigra)
Foto: Pröhl/fokus-natur.de

Kraftsdorf. Hans Heindel steht vor der Kiefer, die wieder aussieht wie jede im Wald. "Hier war der Schwarzstorch-Horst", sagt der 73-Jährige, der den Brutplatz kürzlich entdeckte. "Da oben, in 15 Meter Höhe. Das waren Profis. Nichts ist mehr da, es gibt auch keine Kletterspuren." Die Polizei ermittelt.

Der Kriminalfall von Kraftsdorf, Landkreis Gera, ist ein Rätsel. Man weiß nur eines: wem es nützt, wenn solch ein Horst verschwindet. Wo der Schwarzstorch brütet, darf in der Regel im Abstand von drei Kilometern kein Windrad errichtet werden.

Für Kraftsdorf wurde überlegt, 62 Hektar als Vorrangfläche auszuweisen. Mehrere über 200 Meter hohe Windräder wurden schon beantragt. Erst sollten zwei rotieren, später bis zu 20. Das war der Plan, bevor man wusste, wo genau der Schwarzstorch brütet. Dieses Wissen veränderte alles: Der Brutplatz hätte jedes Windrad weit und breit verhindert.

Windkraftanlagen sind wie Gelddruckmaschinen – für Betreiber wie für Flächeneigentümer. In Thüringen können sie mit Pachteinnahmen von 35000 bis 75000 Euro jährlich rechnen. Bei einer Pachtdauer von 20 Jahren kann sich das auf 1,5 Millionen Euro summieren.

Den Betreibern winkt noch höherer Gewinn, zumal die Windräder selbst dann Einnahmen garantieren, wenn die Rotoren ruhen. Deshalb geben sich Vertreter von Betreiberfirmen bei Flächeneigentümern oft die Klinken in die Hand. Auch in Kraftsdorf sei das so.

Zufall? Sabine Nagler glaubt daran nicht. "Ich sehe einen direkten Zusammenhang", sagt die Sachgebietsleiterin der unteren Naturschutzbehörde des Saale-Holzland-Kreises: Seit 13 Jahren zog es den Schwarzstorch frühjahrs wie sommers in die Region. "Bisher ist nie etwas passiert. Jetzt, da die Bauanträge für die Windkraftanlagen vorliegen, wird der Horst entfernt."

In Kraftsdorf leben auch Skeptiker, die zweifeln, dass dort ein Schwarzstorch brütete. "Ich habe ihn noch nicht gesehen. Man kann auch etwas erfinden, wenn man das braucht", sagt Andreas Rothe – Eigentümer einer Fläche, die Windkraftbauer gern hätten.

Der Schwarzstorch, als scheuer Waldbewohner bekannt, brüte wohl kaum in Sichtweite einer viel befahrenen Autobahn, gibt Rothe zu bedenken.

Drei Menschen, kannten den genauen Standort

Ungewöhnlich sei das tatsächlich, räumt Wolfgang Jeschonnek ein, Gründungsmitglied der renommierten Arbeitsgruppe Artenschutz und einer der erfahrensten Ornithologen des Landes: "Ich kann bestätigen, dass der Schwarzstorch in dieser Kiefer gebrütet hat. Der Horst war frisch und relativ klein. Der Schwarzstorch hat ihn vermutlich das erste Mal benutzt."

Nur drei Menschen, zunächst jedenfalls, kannten den genauen Standort: Heindel, Jeschonnek und Sabine Nagler.

Dabei blieb es aber nicht. "Ich musste die exakten Koordinaten der unteren Naturschutzbehörde des Nachbarkreises mitteilen", sagt Sabine Nagler. "Die hatten schon gedrängelt."

Im Juli gab es dann noch die Versammlung, in der die Bürgerinitiative das Ende aller Windkraftpläne freudig mit der Botschaft verkündete: "Bei uns brütet ein Schwarzstorch."

"Das war ein Fehler", sagt Heindel. "Auch viele Windkraftfreunde waren im Raum."

Was in Kraftsdorf geschah, passiert seit Jahren in ganz Deutschland, so oder ähnlich: Wo Windräder geplant sind, verschwinden plötzlich streng geschützte Vögel, die den Bau verhindern könnten. Dutzende Fälle hat die Deutsche Wildtierstiftung dokumentiert. Vor einem Jahr gab es erste Fälle in Thüringen. Das war rund um Weira und betraf junge Milane.

Auch bei Kraftsdorf brüten Milane. Der Weg zum Windradbau bleibt deshalb verstellt.“

Frank Schauka / 13.08.16


Textquelle

Thüringer Allgemeine-Artikel vom 13. August 2016: Bisher einmalige Straftat in Thüringen: Storchennest störte in Windkraftgebiet – jetzt ist es weg

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