Offener Brief an Umweltminister Reinholz

Sehr geehrter Herr Minister Reinholz,

in der vergangenen Woche haben Sie die Publikation „Natürlich gedacht“ der Öffentlichkeit präsentiert. Mit der Broschüre soll eine Bilanz über 20 Jahre Umweltschutz in Thüringen gezogen werden und den Menschen gedankt werden, die sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten aktiv für den Umweltschutz in Thüringen eingesetzt haben.

Mit großer Verwunderung haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Thüringer Umweltbewegung in dieser Bilanz nicht zu Wort kommt. Obwohl viele der heute in den Thüringer Umweltverbänden engagierten Menschen sich bereits zu DDR-Zeiten unter schwierigsten Bedingungen für den Schutz ihrer Heimat eingesetzt haben, findet sich für deren Engagement kein Platz in der 62-seitigen Broschüre Ihres Hauses. Die Publikation offenbart im Gegenteil eine verzerrte Wahrnehmung der Entwicklung des Umweltschutzes während der vergangenen zwei Jahrzehnte in Thüringen.

Luftreinhaltung steht, anders als in der Publikation behauptet, keineswegs in Thüringen auf der Agenda ganz oben, jedenfalls nicht in der Landeshauptstadt Erfurt, sowie in Weimar und Mühlhausen. Hier werden seit Jahren die Grenzwerte für krebserregenden Feinstaub überschritten. Gegen die von den Umweltverbänden immer wieder geforderte Einrichtung von Umweltzonen, wehren sich die Stadtverwaltungen im engen Schulterschluss mit der Industrielobby.

Die Erfurter Abfallwirtschaft als „ökologisch mustergültig“ zu bezeichnen, weil hier von „Anfang an eine ökologisch geprägte Philosophie“ geherrscht habe, ist eine kaum zu überbietende Dreistigkeit gegenüber 33.404 Bürgerinnen und Bürger der Stadt Erfurt. Diese mussten bekanntlich mit ihrer Unterschrift in einem Bürgerentscheid nach jahrelangen zähesten Auseinandersetzungen gegen den Willen von Politik und Verwaltung der Stadt Erfurt den Bau einer Mechanisch-Biologischen Behandlungsanlage erzwingen. Thüringer Umweltverbände haben gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Erfurt den Bürgerentscheid auf den Weg gebracht.

Die Tatsache, dass beim Kapitel Wismut-Sanierung der kirchliche Umweltkreis Ronneburg mit keiner Silbe Erwähnung findet, ist entlarvend für die Haltung, die Sie, Herr Minister Reinholz gegenüber zivilgesellschaftlichen Umweltgruppen in Thüringen einnehmen. Seit über 20 Jahren begleiten die Mitglieder des kirchlichen Umweltkreises Ronneburg kritisch-konstruktiv die Sanierung des ehemaligen Wismutgeländes. Im Jahr 1990 hat der Umweltkreis erstmals Behörden, Politik, Bürger und Wismut an einen Tisch gebracht, um die Sanierung der geschundenen Landschaft voran zu treiben. Seitdem hat sich der Umweltkreis mit seiner Fachkompetenz ein sehr hohes Ansehen bei allen Beteiligten erworben. Trotzdem findet das herausragende Engagement dieser Gruppe in der Publikation Ihres Hauses keine Würdigung.

Es ist eine Verhöhnung der Menschen, die sich in ihrer Freizeit für Natur- und Artenschutz in Thüringen einsetzen, wenn ausgerechnet der Vorstandssprecher der LEG, Herr Andras Krey, in der Publikation als Retter der Gelbbauchunken in Thüringen präsentiert wird. Jahrelang hat die LEG mit der Unterstützung Ihres Hauses eine vernünftige Lösung für den Schutz eines der wertvollsten Waldgebiete in Thüringen blockiert. Bis heute will die LEG wertvolle Teile des Waldgebietes meistbietend verkaufen, auch auf die Gefahr, dass das Naturschutzgroßprojekt „Hohe Schrecke“ scheitert.

Geradezu grotesk ist die Darstellung des Pörzbergtunnels bei Schaala als gelungenen Ausgleich zwischen Mobilitätsansprüchen und Lebensqualität. Die unerträgliche Verkehrsbelastung müssen die Bewohner von Schaala und Eichfeld zwar nicht mehr erdulden. Der Preis dafür ist aber die brutale und irreparable Zerstörung der Landschaft durch einen völlig überzogenen Straßenbau. Ein ganzes Tal wurde durch den dreispurigen Neubau der „Entlastungsstraße“ zerstört und ein ehemals freifließender Bach ist vollständig unter der neuen Asphalttrasse begraben.

In der Thüringer Umweltbewegung sind Menschen engagiert, die mit wenig Mitteln, meistens in ihrer Freizeit und oft genug gegen den Widerstand von Politik und Verwaltung trotzdem große Erfolge bei der Gestaltung einer lebenswerten Umwelt in Thüringen erzielen. Allein im Artenschutz sammeln die Mitglieder der Verbände über viele Jahre hinweg ehrenamtlich Daten, welche sie den Landesbehörden unentgeltlich zur Verfügung stellen. Nur aufgrund dieser Daten ist der Freistaat in der Lage, seiner Aufgabe zur Sicherung biologischen Vielfalt in Thüringen nach zu kommen.

Sehr geehrter Herr Minister Reinholz, auch Ihre Partei betont gerne die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements als wichtige Stütze für die Gesellschaft. Der Rückblick auf 20 Jahre Umweltschutz in Thüringen wäre eine gute Gelegenheit gewesen, das ehrenamtliche Engagement von Menschen in der Thüringer Umweltbewegung angemessen zu würdigen. Diese Gelegenheit haben sie verstreichen lassen.

Für die Thüringer Umweltverbände

Volker Kögler (Vorstand AHO Thüringen)
Ron Hoffmann (Landesvorsitzender BUND Thüringen)
Grit Tetzel (Landessprecherin Grüne Liga Thüringen)
Mike Jessat (Landesvorsitzender NABU Thüringen)


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