Urteil zu Artenschutz und Eingriffsregelung

Ein Artikel der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V.

Waldohreule (Asio otus)
Foto: © Rosl Rößner

„Auch im vergangenen Jahr hat die Rechtsprechung Natur und Landschaft in einer Vielzahl von Urteilen zum Recht verholfen. Natur und Landschaft sind ja keineswegs rechtlos, sondern ihr Schutz ist eine in Deutschland durch Gesetze für Staat und Bürger verpflichtende Aufgabe. Das gilt auch und gerade für die Zulassung von Infrastrukturprojekten. Allerdings wird dieses Recht oft fehlerhaft oder unzureichend angewandt. Das Vollzugsdefizit naturschutzrechtlicher Vorschriften ist das ungelöste Problem des Naturschutzes, nicht ein Mangel an Vorschriften.

Verantwortlich dafür sind die Stellen, die unter Vernachlässigung naturschutzrechtlicher Maßstäbe und mitunter von Gutachtern schlecht beraten über die Zulassung von Eingriffen entscheiden. Die Naturschutzbehörden trifft eine Mitschuld, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – auf diese Maßstäbe nicht aufmerksam machen und ihre Beachtung nicht anmahnen. Zu diesen Gründen zählt der Druck aus Wirtschaft und Politik, der die Wahrnehmung dieser Aufgabe erschwert. Das ist die Stunde der Naturschutzverbände. Der Gesetzgeber weiß um die Schwäche und Schwachstellen in den Naturschutzbehörden einerseits und die Stärke der Kontrahenten andererseits. Um der öffentlichen Sache des Naturschutzes willen, hat er die Naturschutzverbände mit Mitwirkungs- und Klagerecht ausgestattet.

Auf diesem Klagerecht beruht das Urteil vom 14.07.2011 des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 9 A 12.10); ein von einem sächsischen Naturschutzverband erstrittenes Urteil, das die Planungspraxis aufgeschreckt hat. Streitbefangen war der Planfeststellungsbeschluss für den Bau der Ortsumgehung Freiberg im Zuge zweier Bundesstraßen. Das Gericht kam zu dem Urteil, dass der Beschluss wegen naturschutzrechtlicher Fehlbeurteilungen rechtswidrig sei und nicht vollzogen werden dürfe.

Der Beschluss weist nach dem Urteil des Gerichts entscheidungserhebliche artenschutzrechtliche Mängel auf. Die Planfeststellungsbehörde hatte eine Verletzung der artenschutzrechtlichen Tötungsverbote verneint, das Gericht ein infolge der Straße signifikant gesteigertes Tötungsrisiko aber nicht ausschließen können. Die von der Behörde zum Ausschluss von Risiken vorgesehenen Maßnahmen hielt das Gericht für ungeeignet. Das Gericht ließ sich auch von einem vorgesehenen Monitoring nicht beeindrucken, welches die Maßnahmen hatte begleiten sollen. Das Monitoring stelle kein zulässiges Mittel dar, um die behördlichen Ermittlungsdefizite und Bewertungsmängel zu kompensieren, umso weniger, weil offenbliebe mit welchen Mitteln nachträglich zu Tage tretenden Eignungsmängeln des Schutzkonzeptes begegnet werden solle.

Auch bei anderen Bauvorhaben geht der Streit oft darum, ob Tierverluste z. B. infolge neuer Verkehrswege oder an Windenergieanlagen sozialadäquat und dann hinzunehmen sind oder das Tötungsrisiko signifikant steigt. An dieser Grenze entscheidet sich die artenschutzrechtliche Zulässigkeit des jeweiligen Vorhabens. Keine andere Grenze im deutschen Naturschutzrecht ist so hart umkämpft. An ihr messen sich die Gutachter – engagierte und solche, die sich engagieren lassen. Am Ende sind es oft die Gerichte, die die Mängel aufdecken. Insofern ist das Urteil so ungewöhnlich nicht.

Wenn die EGE hier das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herausstellt, dann eines anderen Umstandes wegen. Das Gericht hatte auch festgestellt, dass die Planung bereits den Anforderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nicht gerecht werde und auch deswegen mängelbehaftet sei. Unter diesen Voraussetzungen könne das Vorhaben nicht als zulässiger Eingriff angesehen werden. Diese Feststellung ist entscheidend, weil die artenschutzrechtlichen Vorschriften – nach der Verknüpfung von Artenschutzrecht und Eingriffsregelung im Bundesnaturschutzgesetz – bekanntermaßen nur im Falle eines zulässigen Eingriffs gelockert sind.

Das Urteil rückt damit die Eingriffsregelung in den Vordergrund und stärkt ihre Bedeutung. Die Eingriffsregelung wird in der Praxis vielfach unzureichend angewandt, insbesondere wenn die Eingriffsfolgen nicht ausreichend ermittelt, die Vermeidungs- und Kompensationspflichten gerade für den Schutz von Arten nicht ausgeschöpft werden. Das Urteil stellt klar, dass solche Mängel auf die Anwendung des Artenschutzrechts zurückwirken.

Die zulässigen Eingriffen in § 44 Abs. 5 BNatSchG eingeräumten Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Schädigungs- und Störungsverboten kann ein Vorhaben, das die Anforderungen der Eingriffsregelung verfehlt, nicht in Anspruch nehmen. Unter diesen Voraussetzungen können die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände auch dann erfüllt sein, wenn trotz des Eingriffs die ökologische Funktion der vom Eingriff betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Und unter diesen Umständen können die Verbote auch nicht auf die europäischen Vogelarten und die Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie beschränkt werden. Beachtlich sind dann vielmehr alle besonders und streng geschützten Arten. Das sind in Deutschland immerhin ca. 2.585 Arten und insofern deutlich mehr Arten, als beispielsweise manche Bundesländer als ‚planungsrelevant‘ bezeichnen. Zu diesen Ländern zählt Nordrhein-Westfalen, das in einer Veröffentlichung "Geschützte Arten" die Anzahl auf nur 213 (!) Arten beschränkt hat. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sollte insofern insbesondere dort genau gelesen werden. Aber sicherlich nicht nur dort.

Das Urteil hat die Planungspraxis überrascht und mache Personen in den Behörden und Planungsbüros unsanft geweckt. Dabei ist dieses Urteil nur konsequent: Der Bundesgesetzgeber hatte im Jahr 2007 die artenschutzrechtlichen Schädigungs- und Störungsverbote auf die europarechtlich geschützten Arten beschränkt, weil er im Falle zulässiger Eingriffe den Schutz der anderen entscheidungserheblichen Arten von der rechtmäßigen Anwendung der Eingriffsregelung erwartet. Die Straßenplanung in Sachsen aber hatte die Vorschriften der Eingriffsregelung, die auch einen Mindestschutz von Arten entfalten sollen, vernachlässigt. Der Fall belegt, dass Naturschutzverbände ein wichtiges Korrektiv für das Naturschutzhandeln sein können. Schade nur, dass sie so oft ihre Möglichkeiten nicht nutzen. Zu diesen Versäumnissen zählt das Zurückziehen erfolgversprechender Klagen gegen Geldzahlungen.“

Quelle: Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V.

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