Giftausbringung auf Thüringer Äckern: Nächster Akt im Drama
Präsident des Thüringer Bauernverbandes widerspricht sich selbst
Ehrlichkeit und Sachlichkeit sind im heutzutage oft eine sperrige Last im (nicht nur politischen) Alltag. Oft ist es bequemer, unkritisch vorgegebenen Darstellungen zu folgen, anstatt selbst kritisch nachzudenken. Der NABU vertraut aber auf den gesunden Menschenverstand der Bürger, so auch bei der Lektüre der nachfolgend wiedergegeben Kontroverse.
Angemerkt zu der Darstellung von Herrn Gumpert sei nur, dass der „Boden als […] unser wertvollstes Gut“ von der industriellen Landwirtschaft als Produktionsgrundlage, die man beliebig behandeln kann (Ausbringung von Dünger, Pestiziden, dazu die extreme Bodenverdichtung durch schweres Gerät usw.), gesehen wird – immer im Sinne der Ertragssteigerung, sprich der Gewinnerhöhung. Parallel dazu wurde und wird legal oder illegal die Feldflur weiter ausgeräumt. Wo ist die Kulturlandschaft, die die Landwirte einst geschaffen haben? Vergleicht man alte Karten von 1900 oder 1950 mit heutigen Messtischblättern, wird ersichtlich, welcher Kahlschlag ab ca. 1960 über unsere Kulturlandschaft gezogen ist und wie dieser Kahlschlag die Landschaft geschädigt hat. So sind die Mahnungen, dass das Feldmaus-"Problem" hausgemacht ist, da es kaum noch Strukturen in der Landschaft gibt, die von Greifvögeln und Eulen als Quartiere und Brutplätze genutzt werden können, Kassandra-Rufe! Übrigens werden diese Greifvögel und Eulen dann gleich mit vergiftet, indem sie halbtote Mäuse fressen. Auch die Vermehrungsrate eines Feldmauspaares, das „in einem Jahr einige Millionen Nachkommen zeugen“ kann, so nach Herrn Gumpert, ist eine Falschangabe.
Bemerkenswert aber ist der Satz, daß es „im ureigensten Interesse eines jeden Bauern [liegt], nachhaltig und sorgsam mit ihm [dem Boden] umzugehen“, denn „der Boden ist unser wertvollstes Gut […]“ – Sie erinnern sich? Würden Sie Ihr wertvollstes Gut flächendeckend mit Gift belegen und in diesem Herbst oder im kommenden Jahr das Erntegut dieser Flächen, d.h. nach der Giftausbringung, essen?
Fazit: Vorsorge im Sinne einer ökologischen Landwirtschaft statt Vergiftung der Landschaft tut Not!
„Mäuseplage auf Feldern: Müssen die Nager vergiftet werden?
Die Bauern klagen über eine Mäuseplage auf den Feldern. Der Meinungsstreit zwischen Helmut Gumpert (Präsident des Thüringer Bauernverbandes e.V.) und Tino Sauer (Landesvorstandsmitglied Nabu Thüringen) gilt der Frage: Müssen die Nager vergiftet werden?
Pro: Natürliches Gleichgewicht ist aus den Fugen
Helmut Gumpert, Präsident des Thüringer Bauernverbandes e.V.
Unsere Kulturlandschaft, wie wir sie kennen und lieben, wurde zum größten Teil durch die Hand der Landwirte geschaffen. Der Boden ist unser wertvollstes Gut, denn er ist unsere Produktionsgrundlage. Deshalb liegt es im ureigenen Interesse eines jeden Bauern, nachhaltig und sorgsam mit ihm umzugehen. Nur auf diesem Weg können wir jedes Jahr sichere Erträge und Qualitäten garantieren.
Wenn dann in Ausnahmejahren, wie in diesem, das natürliche Gleichgewicht aus den Fugen gerät, hat das oft mehrere Gründe mit fatalen Folgen. Der trockene und milde Winter haben dazu geführt, dass die Mäusepopulation nicht geschrumpft, sondern angestiegen ist.
Normalerweise erreicht die Population alle drei bis fünf Jahre ihre Spitze und fällt dann ab. Dieses Jahr gibt es aber keinen Knick in der Entwicklungskurve. Und wann er eintritt, ist nicht vorhersehbar. Die Vorsorgemaßnahmen der Landwirte und die natürlichen Beutegreifer, wie Füchse und Greifvögel, sind der Lage nicht mehr gewachsen.
Ein Mäusepaar kann in einem Jahr einige Millionen Nachkommen zeugen, 60 bis 80 Mäuse wurden in diesem Jahr pro Quadratmeter gezählt. Die Landwirte müssen auf den betroffenen Flächen mit 30 bis 90 Prozent Ernteausfällen rechnen. Diese werden sich zum einen in der Nahrungsmittelkette bemerkbar machen, zum anderen wird auch das Futterstroh für die Tierbestände fehlen. Abgesehen davon bedeutet beispielsweise eine Ertragsminderung von 30 Prozent im Landkreis Sömmerda beim Winterweizen für den Landwirt einen Verlust von 8,5 Millionen Euro. Das Getreide muss dann von weit her zugekauft werden. Weiterhin besteht bei der derzeitigen Ausbreitung der Mäuse eine gesundheitliche Gefahr für die Menschen (etwa durch den Hanta-Virus).
In normalen "Mäuse-Jahren" ist es dem Landwirt gestattet, Mäusegift mit einer Legeflinte eigenhändig in jedes einzelne Mäuseloch auszubringen. Bei der diesjährigen "Mäuse-Invasion" würde diese Maßnahme jedoch dem Versuch gleichkommen, den Bergsee Ratscher mit einem Fingerhut zu leeren. Für einen Schlag mit 40 Hektar würde das 2,4 Millionen Arbeitsschritte bedeuten.
Der Thüringer Bauernverband e.V. fordert deshalb für einzelne, stark betroffene Flächen schnellstmöglich eine Ausnahmegenehmigung, die es ermöglicht, Mäuseköder mit Streu-Technik flächig auszubringen. Aus- nahmesituationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
Kontra: Die Landwirte sind selber schuld
Tino Sauer, Landesvorstandsmitglied Nabu Thüringen
Die Feinde des Landwirts sind Frühling, Sommer, Herbst und Winter – und in diesem Jahr die "Mäuseplage". Nun ist dieser Begriff nicht bereits in der Bibel beschrieben, aber seit es einen Ackerbau gibt, gehören zyklische Mäusegradationen (Gradation: Massenvermehrung einer Tierart) einfach dazu.
Zunächst erscheint die Faktenlage unübersichtlich. So bemerken der Thüringer Bauernverband und das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz TMLFUN, dass diese Mäusemassenvermehrung nicht landesweit sei, betroffene Landwirte durchschnittlich 10 Prozent Ertragsminderung erleiden und bis zu 60.000 Mäuselöcher je Hektar festzustellen sind.
Erhebliche gesundheitliche Risiken bestünden durch die Kleinsäuger auch (Hanta , Pest, was noch...?). Schließlich bildet sich aus der Nachrichtendichte eine "Mäuseplage nie gekannten Ausmaßes!". Der Ruf nach effektiven Bekämpfungsmitteln wird laut und der Landwirtschaftsminister muss sich kümmern! Entsprechend dem letztem Agrarbericht des TMLFUN gibt es in Thüringen 614.000 Hektar Ackerland, davon sind 385.150 Hektar mit Getreide bestellt. Bei einer Betroffenheit von aktuell rund 40.000 Hektar sind dies etwa 11 Prozent mit Schäden durch Mäuse.
Während der Bauernverband von bis zu 95 Prozent Verlusten auf dem Hektar spricht, dürften zehn Prozent durchaus gesichert entstehen. Das sind immerhin 26.800 Tonnen Getreideverluste durch Mäusefraß. Das ist erheblich und macht den Ärger der betroffenen Landwirte durchaus verständlich.
Ein flächendeckender Giftködereinsatz beseitigt nur die derzeitigen Folgen und wirkt nicht an den tatsächlich verantwortlichen Ursachen. Diese sind vor allem in der intensiven industriemäßigen Landwirtschaft zu suchen. Beim Besuch von Minister Reinholz in Pfiffelbach waren (im Fernsehen) die riesigen Schlagformationen zu sehen, baum- und strauchlose Agrarsteppen, die hervorragende Lebensbedingungen für die Kleinsäuger bieten.
Kaum zu glauben, dass dieser Agrarbetrieb 1986 im Bezirk Erfurt die erste Flurgestaltungskonzeption erarbeitete, in deren Zuge bereits ökologische und agrarökonomische Faktoren eine Verbesserung der Flurstrukturen erreichen sollte. Wegebegleitende Baumpflanzungen, Aufstellen von Sitzkrücken, kleinere Schlagflächen, variable Fruchtfolgen, Verzicht auf Monokulturen oder Ähnliches würden Mäusegradationen deutlich erschweren. Auch der Einsatz pflugloser Technik auf den Feldern fördert die Mäusepopulation.
Mit dem Einsatz der Pflüge brechen Gänge und Nester auf, kommen die Mäuse an die Oberfläche und werden als Nahrung erbeutet. Vielen sind die Bilder durchaus bekannt, wenn Greifvögel, Möwen, Graureiher oder Störche hinter den Pflügen sofort auf Mäusejagd gehen. Dies alles ist umweltschonender als ein flächendeckender Gifteinsatz. Der Nabu fordert seit Jahren den Verzicht auf Mäusegifte in EU-Vogelschutzgebieten. Ein Verbot dürfte allerdings illusorisch sein, wenn sich an den landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen nichts ändert. Der Boden als wichtiger Lebensraum muss auch künftig so bewirtschaftet werden, dass der landwirtschaftliche Ertrag mit geringstmöglichen Aufwand an Dünger und Pflanzenschutzgiften auskommt. Im Zuge der Klimaänderungen und veränderten Niederschlagsverteilungen dürften trockenere Frühjahre künftig auch schnellere Zyklen bei Mäusegradationen bewirken.
Es kann keine Lösung sein, dann alle zwei bis drei Jahre hochtoxische Giftköder über die Felder zu streuen. Das schädigt das Agrarökosystem irreversibel. Aber letztlich sind geringere Erntemengen immer mit steigenden Verkaufspreisen gekoppelt.
Auch der aktuell kalte und verregnete Sommer wird die Mäusepopulation schwächen. Schleiereulen mit bis zu zehn aufgezogenen Jungvögeln und zahlreiche Bruten der Sumpf-ohreule in Thüringen und Sachsen-Anhalt zeigen das natürliche Reaktionsvermögen der Bioregulatoren. Nur die laut Bauern-Verband "fett gefressenen und inzwischen flugunfähigen"(Rainhard Kopp ) Greifvögel haben wir bisher noch nirgendwo so tatsächlich feststellen können.“